An der EU-Außengrenze: 7 Tage Chios – Tag 6: Verteilung der Fahrräder

Was hatten wir uns gefragt, immer und immer wieder, ob es moralisch vertretbar wäre, Fahrräder in die Flüchtlingslager zu schicken. Medizinische Güter, Nahrung, Kleidung… ja! Aber Fahrräder? „Ich habe 700 Anfragen, und kann leider nur 120 davon bedienen“ sagt Ruhi von unserem lokalen Partner Refugee Biriyani & Bananas, „Das ist so wichtig, und es wird die Lebenssituation von Geflüchteten im Lager Vial extrem verbessern“. Wir sind überrascht und freuen uns. Wer hätte das gedacht, Fahrräder….

Und dann passiert es tatsächlich. Wir laufen am Flüchtlingslager Vial vorbei, und ein Mensch kommt mit einem unserer Fahrräder angeradelt. Wie ist das schön! Für mich der bezauberndste Moment in unserer Zeit auf Chios. Stolz fährt er auf und ab, strahlt über das ganze Gesicht, fährt immer wieder auf und ab. Die ganze Szene wiederholt sich in der Zeit danach, wir treffen immer mehr Menschen mit unseren Fahrrädern. Jedesmal haben wir Tränen in den Augen. Der berührendste Anblick: Ein Mann fährt seine winzig kleine Tochter im Fahrradkorb spazieren, sie quietscht vor Aufregung und Freude.

Warum sind Fahrräder so wichtig? Sicherlich haben Flüchtlingslager in Deutschland Unterschiede zu denen auf den griechischen Inseln. Was aber gleich ist: Sie werden oftmals sehr isoliert, weit weg von allem eingerichtet. So ist es auch mit Vial, weit weg von allen Stränden und Ortschaften, in der Mitte der Insel ist das Lager. Der öffentliche Transport ist gerade auch in Corona Zeiten sehr eingeschränkt, Taxis können sich die Schutzsuchenden nicht oder nur sehr begrenzt leisten. Das heißt: Sie sind oftmals stundenlang unterwegs um einfache Besorgungen zu erledigen, wenn sie von A nach B wollen.

„Es bekommen erstmal alle die Fahrräder, die für die Community Aufgaben erledigen“ sagt Ruhi. Alle, die sich für ein Fahrrad „bewerben“, müssen per WhatsApp Antrag begründen, warum gerade sie die Fahrräder benötigen. Sie gibt nun jeden Tag 20 Fahrräder raus, die vorher nochmal repariert werden, um kleinere Transportschäden zu beheben. Weiterhin war es notwendig, Absprachen mit der Polizei zu treffen, damit unsere Fahrräder den Geflüchteten nicht wieder weggenommen werden mit der Begründung: „Ein Geflüchteter mit Fahrrad? Das kann ja nur geklaut sein.“ Das heißt, jeder der ein Fahrrad bekommt, erhält gleichzeitig auch eine Art „Zertifikat“, dass das Fahrrad wirklich seins ist.

Fast am Ende unseres Trips auf Chios bekommen wir ein Angebot. „Wenn ihr es schafft, 300 weitere Fahrräder zu beschaffen, kümmere ich mich um die Transportkosten. Die sind so wichtig hier“. Schaffen wir das?

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