Menschen auf der Flucht haben ein Recht, Rechte zu haben!
Sehr geehrte Frauen Esken und Baerbock, sehr geehrte Herren Lindner, Borjans, Scholz und Habeck,
angesichts der fortlaufenden Koalitionsverhandlungen bitten wir Sie folgende Situation mit zu
bearbeiten. Es geht dabei konkret um die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit an den EU-Außengrenzen:
Die Situation der geflüchteten Menschen an den europäischen Außengrenzen verschlechtert sich
dramatisch. In der Ägäis wird beobachtet, wie die griechische Küstenwache Menschen auf der Flucht
aus griechischen Gewässern zurückdrängt, oder auf hoher See in Rettungsinseln aussetzt. Die
europäische Grenzschutzagentur „Frontex“ scheint dabei eine maßgebliche Rolle zu spielen. An der
Grenze zwischen Bosnien und Kroatien werden schutzsuchende Menschen von kroatischen
Grenzschützer:innen mit Schlägen zurückgedrängt, nachdem ihnen ihr Hab und Gut abgenommen
wurde. Ungarn setzt beim Grenzschutz nicht nur auf einen vier Meter hohen Stacheldrahtzaun,
sondern auch auf den Einsatz von Hunden, welche auf Flüchtende gehetzt werden, und Litauen setzt
das Recht auf Stellung eines Asylantrages, wie Griechenland im letzten Frühjahr, aus.
Dabei scheint die Einhaltung der Rechte von Geflüchteten, wie sie in internationalen Verträgen
festgeschrieben wurden, keine Rolle mehr zu spielen. So stellt das Aussetzen des Rechts auf Stellung
eines Asylantrages einen eindeutigen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention dar. Das
Verbot des „non-refoulment“ ergibt sich aus mehreren Verträgen und hat auch Einzug in die
Grundrechtscharta der Europäischen Union gefunden. Das wurde durch Entscheidungen des
Europäischen Gerichtshofs gegenüber Kroatien und Ungarn bestätigt. Trotz dieser gerichtlichen
Entscheidung halten diese beiden Länder an ihrer rechtswidrigen Abschiebepraxis fest.
Doch Polen dringt mit seinen Grenzschutzmaßnahmen in eine neue Dimension vor. Es wurden nicht
nur „illegale Pushbacks“ von Amnesty International dokumentiert. Darüber hinaus verweigert Polen
den Geflüchteten, welche im Niemandsland zwischen der polnischen und weißrussischen Grenze
festsitzen, sämtliche Unterstützung. Nach dem Ausrufen des Notstandes ist nicht mehr
nachvollziehbar, ob Polen die Menschen überhaupt mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgt, denn
Anwält:innen und Journalist:innen wird trotzt einer eindeutigen Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte der Zugang zu den Flüchtenden weiterhin verweigert. Eine
medizinische Versorgung durch unabhängige NGOs ist seither auch nicht mehr möglich. Und nun
verabschiedet das polnische Parlament ein Gesetz, welches die Abschiebung von Geflüchteten ohne
die Möglichkeit einer Stellung eines Asylantrages für rechtmäßig erklärt. Polen beraubt damit
Menschen auf der Flucht sämtliche Rechte, einschließlich des Rechts auf Leben, und erfüllt mit
seinen Grenzschutzmaßnahmen den Tatbestand der Folter. Dass das Folterverbot absolut und durch
nichts gerechtfertigt werden kann, scheint, wie die Lebensgefahr, billigend in Kauf genommen zu
werden; ja sogar einkalkuliert worden zu sein.
Deshalb die Frage von uns unterzeichnenden Organisationen an die SPD, FDP und Bündnis 90/Die
Grünen: Was genau beabsichtigen Sie, zu unternehmen, um die Rechtsstaatlichkeit an den
europäischen Außengrenzen wieder herzustellen? Wir bitten um eine zeitnahe Antwort, da
Menschenleben in Gefahr und schon zu beklagen ist.
Mit freundlichen Grüßen,
Wir packen’s an e.V., medico international, borderline-europe, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.,
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. und Sächsischer Flüchtlingsrat