Erinnert ihr euch an Bosnien? An die drastische Situation der geflüchteten Menschen dort? Bekam Bosnien – bis auf den Brand in Lipa – schon immer eher wenig Medienaufmerksamkeit, so ist diese seit Beginn des Krieges in der Ukraine vollständig vom Nachrichtenradar verschwunden. Was nicht verschwunden ist, ist das unsagbare Leid und Elend der Flüchtenden vor Ort.
Und so widmen wir die Woche mit unterschiedlichen Beiträgen den „Vergessenen Geflüchteten” und fordern Solidarität mit ALLEN Menschen. Ben, ein befreundeter Fotografen, der uns schon auf unseren letzten Reisen begleitete, sah sich vor Ort um und schilderte seine Eindrücke von der Lage in Bosnien im Frühjahr/Sommer 2022.
– Text und Bilder von Ben Owen-Browne, Fotograf:
„Zwar beobachten wir weiterhin illegale Pushbacks an den bosnischen Grenzen und gewaltsames Vorgehen gegen Menschen. Aber es gibt auch irgendwie gute Neuigkeiten: Die massive körperliche Gewalt der Grenzposten ist stark zurückgegangen, so dass nicht mehr so viele schutzsuchende Menschen mit eingegipsten Armen, Beinen oder verbundenen Köpfen zu sehen sind. Dennoch ist die psychische Gewalt weiterhin Alltag: Der sogenannte Grenzschutz zerstört die Telefone der Menschen, indem er auf die Geräte schießt (!), beschlagnahmt ihr gesamtes Geld und steckt es sogar in Brand(!).
Als ich die alten besetzten Häuser besuchte, sah es zwar so aus, als wären viel weniger Leute dort. Doch dann sah ich in der Abenddämmerung große Gruppen von Menschen, die die Straßen entlang laufen, um sich auf den Weg zum „Game” zu begeben – ein unter Flüchtenden geläufiger Begriff, um über die bosnisch-kroatische Grenze zu gelangen und somit in die EU weiterzureisen. Ein Unterfangen, dass unzählige Male erfolglos unternommen wird, da der kroatischen Grenzschutz sie recht schnell aufgreift und illegal auf die bosnische Seite zurück deportiert. Selten gewaltfrei.
Die Bewegungen, die ja vor allem während der Nacht gefährlich sind, fand ich etwas rätselhaft – bis ich von der Ursache erfuhr: Lokale Politiker schlossen das Camp „Miral” (was sich mitten in der Stadt Velika Kladusa befand). Vom bosnischen Außenministerium abgesegnet, werden nun regelmäßig und zu jeder Tageszeit Razzien im Gebiet durchgeführt, um die besetzten Häuser zu räumen. Alle, die aufgegriffen werden, werden ins Camp „Lipa” transportiert. Ein Auffanglager mitten im Nirgendwo, 25 km von der nächsten Stadt, Bihac, entfernt, was mehr den Charakter eines großen Gefängnisses besitzt.
Damit änderte sich die Situation: Schutzsuchende müssen jederzeit bereit sein zu fliehen und ihren Aufenthaltsort zu wechseln. Die unermüdlichen Helfer:innen der Hilfsorganisation „Rahma”, die ich bei mehreren Auslieferungen von Spenden begleitete, passten sich sofort der neuen Situation an. Es wurden nun andere Lebensmittel verteilt, da nicht immer Zeit oder eine Küche vorhanden ist, um z.B. Mehl zu verwenden. Auch ist nun für die Hilfsorganisation das Auffinden der geflüchteten Menschen erschwert: Familien verschwinden von einem Tag zum nächsten…
Tatsächlich ist das dringendste Problem, mit dem „Rahma” derzeit konfrontiert ist, dass es keine festen Schuhe oder lange Trainingshosen mehr zu verteilen gibt. Eine unverzichtbare Ausrüstung, wenn Menschen 10 Tage lang, nur im Schutz der Dunkelheit, durch tiefe Wälder und Berge streifen müssen – durch einen der letzten europäischen Dschungel – ohne sich die Beine in Fetzen zu reißen oder sich die Füße zu brechen.
Ein Mann erzählte mir, wie dankbar er gegenüber den Menschen der NGOs sei. Auch halfen ihm bosnische Einheimische mit etwas Tomatenpüree und Snacks. Als er sein Biryani fertig gekocht hatte, zeigte er verzweifelt auf seine Crocs und sagte: “Brother, please! Shoe problem.”
Es schien als sei er bereit, sein Essen gegen ein ordentliches Paar Schuhe zu tauschen.“
– Text und Bilder von Ben Owen-Browne, Fotograf