Solidarität im Wandel: Zwischen Ukraine und Kampf gegen Rechts


Ein Text von Axel Grafmanns

Intro: Partygespräche

„Na, ich weiß gar nicht mehr, wen ich wählen soll. Also, ich bin für Frieden…und diese vielen Waffenlieferungen in die Ukraine finde ich nicht gut… Alles geht in die Ukraine und bei uns haben viele Leute nichts. Außerdem: Was ist zum Beispiel mit dem Jemen und Sudan? Das interessiert niemanden!“

Dieses Gespräch hörte ich vor ein paar Tagen auf einer Party. Weitere Sätze, die ich an dem Abend wahrgenommen habe: „Morgen gehe ich zum Reichstag demonstrieren, die AfD kotzt mich an“, und auch noch „Also, es scheint ja ein Rede- und Denkverbot in diesem Land zu geben. Zum Beispiel über Migration lässt sich überhaupt nicht mehr sachlich reden, die Überlastung der Städte und so.“

Teil 1: Ukraine

Im Frühjahr 2022 sind wir regelrecht überwältigt worden von Spenden und Hilfsangeboten! Solikonzerte, palettenweise Sachspenden – die höchsten Spendeneinnahmen seit Bestehen unseres Vereins. Menschen meldeten sich freiwillig, rund um die Uhr bereit, etwas zu tun – ich musste ihnen nur sagen, was.

Natürlich haben wir uns darüber gefreut, auch wenn wir das Ganze nicht ohne Kritik betrachtet haben. Denn plötzlich waren Dinge möglich, von denen andere Geflüchtete nur träumen konnten: Spenden und Hilfsangebote kamen aus allen Richtungen, und politisch wurde das Unvorstellbare möglich. Busse wurden entsandt, um Menschen aus der Ukraine abzuholen, und Gesetze wurden geändert, um Menschen problemlos aufzunehmen. Am Brandenburger Tor fand ein großes Konzert mit hohen Spendeneinnahmen statt. Und wenn ich es wagte, Waffenlieferungen in die Ukraine zu hinterfragen, entbrannte sofort eine Diskussion über ähnliche Kulturkreise und die Notwendigkeit der Verteidigung eines ähnlichen Landes. Unser Verein beschloss damals, sich nicht am blau-gelben Nationalrausch zu beteiligen, sondern sich allein auf die Menschen in der Ukraine zu konzentrieren, die nun vor einem Krieg fliehen müssen – ihnen schnell und aus dem Herzen zu helfen.

Zwei Jahre später: Keine Solikonzerte, keine Sachspenden, keine politische Unterstützung mehr. Niemand belehrt mich mehr über gleiche Kulturkreise und anscheinend notwendige Waffenlieferungen – im Gegenteil. Es scheint, die Brüder und Schwestern vom vermeintlich gleichen Kulturkreis nerven plötzlich flächendeckend.

Was ist eigentlich passiert? Nichts, aber auch wirklich nichts hat sich für die Menschen dort geändert, es ist eher schlimmer geworden, nachdem alles zerbombt und zerstört wurde. Solidarität wäre notwendiger als jemals zuvor. Stattdessen verschärft sich der innenpolitische Diskurs in Deutschland gegenüber ukrainischen Geflüchteten.

Übrigens: Schon damals gab es auch andere Länder und Regionen, die ebenfalls Unterstützung gebraucht hätten – dieser Aspekt ist heute nicht anders als damals

Teil 2: Demo gegen Rechts

Die Zivilgesellschaft ist erwacht. Am 21. Januar 2024 fanden deutschlandweit Massendemonstrationen von ungeahntem Ausmaß statt. Noch vor einem Jahr standen wir allein auf weiter Flur mit einigen Wenigen auf Demonstrationen – frustrierenderweise waren manchmal sogar die Nazis zahlreicher als wir, und das in Berlin.

Am 21. Januar sah es nun anders aus. Hunderttausende demonstrierten in großen und kleinen Städten gegen Faschismus und zeigten, dass niemand Interesse an einem „Dritten Reich Reloaded“ und Deportationen hat. Die Correctiv-Recherchen brachten das Fass zum Überlaufen. Plötzlich demonstrieren auch Menschen, die dem Thema zuvor abwartend oder ängstlich gegenüberstanden – Anfänge einer antifaschistischen Bewegung? Die Politik begrüßt das Ganze, von Steinmeier bis Merz gibt es Beifall, und Abschiebekanzler Scholz sowie Baerbock demonstrierten vor ein paar Tagen gleich in der ersten Reihe in Potsdam.

Alles super!?

Mitnichten! Denn während Hunderttausende demonstrieren und die noAFD gebrandmarkt wird, scheuen sich Politikerinnen und Politiker von Grün über Rot bis Schwarz nicht davor, genau in diesem Moment Deportationen zu optimieren, sie menschenfeindlicher zu gestalten und die nächste Asylrechtsverschärfung zu fordern. Die Politik, von der vor Jahren noch Nazis träumten, ist längst Realität geworden, getragen und vorangetrieben von den Parteien der sogenannten Mitte. Genau deswegen trauen sich nun Rechtsextreme mit weitergehenden Forderungen an die Öffentlichkeit.

Teil 3: Migrations-Diskurs

Auch aus den Reihen des neuen Bündnisses von Sarah Wagenknecht kommen ähnliche Vorwürfe – also Klagen darüber, dass ein offener, realitätsnaher Diskurs über Migration nicht möglich sei. Vor kurzem fragte mich ein Bekannter, der sich dem neuen Bündnis anschloss, wütend: „Was ist denn deine Lösung für das Migrationsproblem? Aber bitte keine unrealistischen Forderungen, die Städte haben jetzt ein Problem!“.

Ich frage mich: Was ist so schwierig daran zu verstehen, dass, wenn die Lebensbedingungen untragbar werden, wenn man nichts zu essen hat, eine Bombe auf den Kopf fallen kann und das eigene Haus durch die Folgen des Klimawandels weggespült wird, man sich auf den Weg macht? Das ist pure Logik, oder? Wenn das eigene Leben bedroht ist, rennt man weg.

Wenn Menschen hier ernsthaft möchten, dass weniger Menschen flüchten und zu uns kommen müssen, dann sollten die internationalen Rahmenbedingungen geändert werden. Das ist nicht unmöglich, wie die anfängliche Solidarität auch von staatlicher Seite zu Beginn des Ukraine-Krieges gezeigt hat. Aber anstatt fairen Handel umzusetzen oder konsequenten Klimaschutz zu betreiben, werden Entwicklungshilfen gekürzt und neue Rekorde beim Waffenhandel eingefahren.

Es gibt keine Migration, wenn es keine Gründe dafür gibt. Ein offener Diskurs darüber ist mehr als dringend, findet jedoch nicht statt. Stattdessen scheint es akzeptiert zu sein, rassistisch und egoistisch zu argumentieren. Unsere Privilegien sollen nur für uns, aber nicht für andere gelten. Das wird „man“ doch noch sagen dürfen! Abschottung und Unmenschlichkeit sollen nun kritikfrei diskutiert und umgesetzt werden. Gibt es dagegen verbalen Widerstand, wird die Kritik als „woke“ diskreditiert.

Oder einfacher gesagt: Der Diskurs hat sich weit nach rechts verschoben. Was heute gesagt werden darf, war vor Jahren noch undenkbar. Rassismus ist mehr und mehr in allen Bevölkerungsteilen etabliert, wird offen zugegeben und von politischen Parteien gefordert. DAS ist die Änderung, und nicht ein angebliches Redeverbot.

Schlussteil:

Was haben nun fehlende Ukraine-Solidarität, Demos gegen Rechts und der Diskurs über Migration miteinander zu tun? Es sind verschiedene Seiten der gleichen Medaille. Solidarität in diesem Land ist – von Ausnahmen abgesehen – eine Momentaufnahme. Es scheint bei vielen kein grundlegendes und nachhaltiges Solidaritätsbedürfnis zu geben. Ist dies ein Wohlfühlgedanke einer Gemeinschaft in einer zunehmend komplexeren Welt? Wenn wir die dauerhafte Krise der Solidarität wirklich beseitigen wollen, dann braucht es Kontinuität. Und diese Kontinuität muss an Menschlichkeit ausgerichtet sein und nicht an der Popularität von Hilfe und medialen Interesse.

Wenn also nicht konsequent weitergemacht wird und der gesamte Diskurs wieder ein Stück aus der menschenfeindlichen, rechten Mainstream-Ecke herausgeholt wird, dann sind die Demos auch nur eine kurze Momentaufnahme, ähnlich wie die Ukraine-Solidarität im Frühjahr 2022 – eine kurze, warme Brise.

Wir brauchen jedoch kein laues Lüftchen, sondern einen Frühling der Solidarität! Eine andere Politik ist notwendig und möglich, jetzt!


Hand in Hand – jetzt solidarisch aktiv werden!

Schließ dich der Brandmauer gegen Rechts an! Jetzt sind wir alle gefragt: Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, als Zivilgesellschaft ein solidarisches Miteinander zu verteidigen.

Am 3. Februar zeigen wir mit einer Menschenkette um das Bundestagsgebäude: Wir sind die Brandmauer!

Wir rufen mit über 590 weiteren Organisationen und Initiativen dazu auf, der rechten Normalisierung in Deutschland und Europa nicht länger zuzuschauen.

Zur Webseite www.gemeinsam-hand-in-hand.org »