Rotary-Distrikt will sich in Bosnien engagieren!

Governor Daniela Singer (mitte) im Lagerhaus von Rahma in Velika Kladusa

Zusammen mit unserem Vorstand Axel Grafmanns ist auch eine hochrangige Delegation vom Rotary Distrikt 1950 Thüringen-Franken vor Ort, um sich selbst ein Bild zu machen und zukünftige Kooperationen abzusprechen. Die Past Governors Dr. Rüdiger Götz und Bernd Koob sowie die aktuelle Governor Daniela Singer zeigten sich schockiert von der Situation der Menschen auf der Flucht an der bosnisch-kroatischen Grenze. Daniela Singer stellte sich für ein Interview zur Verfügung

Von links nach rechts: Bernd Koob, Axel Grafmanns, Daniela Singer, Dr. Rüdiger Götz während eins Polittermins in Sarajevo

Da bekomme ich Gänsehaut, wenn ich nur daran denke.“

Axel: „Kannst du erstmal etwas zu deiner Person sagen?“
Daniela: „Ich bin 49, bin Unternehmerin. Ein mittelständisches Unternehmen mit über 300 Mitarbeitern. Wir haben sehr viele Kollegen, über 75 Prozent, aus anderen Ländern. Mir blutet das Herz, wenn ich das hier sehe – in Deutschland fehlen allein 20.000 Fahrer. Vielen Geflüchteten denen wir begegnet sind, traue ich zu, einen Bus oder LKW Führerschein zu erwerben. Warum ist es nicht möglich, hier hin zu fahren und zu sagen: Jeder Flüchtling bekommt einen Paten der dafür zuständig ist ihn in Europa sozial zu integrieren und in eine Arbeitsstelle zu vermitteln. Angenommen, ich hätte als Pate 20.000 € zur Verfügung, dann würde ich das wie folgt investieren: 12.000 € für den Führerschein, für den Rest eine Wohnung mieten (Kaution, die ersten Monate Miete, Startkapital zum Leben). Die Grundvoraussetzung ist, dass sie hier in BH bereits die Deutsche Sprache erlernen. Wichtig ist auch, dass die Menschen in unsere Kultur eingeführt werden, d.h. jeder muss arbeiten, auch die Frauen. Jedes Kind besucht die Schule und erhält Zugang zur Bildung. Das gilt für alle Dienstleistungsbereiche. Wir kämpfen uns ab, kriegen keine Arbeitnehmerinnen und hier unten verhungern die Leute am ausgestreckten Arm. Da bekomme ich Gänsehaut, wenn ich nur daran denke.“

Im Gespräch mit Geflüchteten

„Aber was sollen die geflüchteten Menschen tun? Die Häuser sind enteignet, wer noch gelebt hat wird umgebracht, sie sollen sehen, dass sie wegkommen – wir schauen zu.“

Axel: „Du hast dir heute über die Situation ein Stück weit ein eigenes Bild machen können. Was ist dein Fazit, was sind deine Eindrücke?“
Daniela: „Ich hab es mir schlimm vorgestellt, aber nicht so. Es ist eigentlich aussichtslos.“
Axel: „Heißt das, die Situation ist schlimmer als du dachtest?“
Daniela: „Es ist niemandem bei uns bewusst, dass es fast aussichtslos ist für die Menschen. Sie sind ohne Pass, haben Nichts, die Kinder sind teilweise 14 oder jünger, ohne Bildung, ohne Zugang dazu und sind seit sieben Jahren auf der Flucht. Selbst wenn sie es schaffen zu uns kommen, wie sollen sie sich integrieren? Sie werden rumgeschubst und wir bezahlen eine Art „Söldner“ an der Grenze, dass sie uns diese Menschen vom Leib halten. Aber was sollen die geflüchteten Menschen tun? Die Häuser z.B. in Afghanistan sind enteignet, wer noch gelebt hat wird umgebracht, sie sollen sehen, dass sie wegkommen – wir schauen zu.“
Axel: „Jetzt bist du ja als Vertreterin von Rotary hier, wie kannst du dir vorstellen, dass Rotary sich in Bosnien engagiert?“
Daniela: „Hier können wir wenigstens unterstützen, dass es den Menschen ein bisschen besser geht. Vielleicht können wir auch den Zugang zur Bildung ermöglichen. Dass wir sie wenigstens – falls die Politiker vernünftig werden – vorbereiten auf unser Land, denn ich glaube nicht, dass sie wissen, was auf sie zukommen wird bei uns, oder anderswo in Europa. Sie müssen ja irgendwie erst einmal für Europa sozialisiert werden.“

„Also Zelten für den Europäer, das ist ja ganz nett für eine Woche. Aber du kannst ja nicht dein Leben in Zelten verbringen, und dann kommt ja auch noch der Schnee…“

Axel: „Was wäre denn der wichtigste Punkt für dich was man anpacken müsste in Bosnien?
Daniela: „Das Wichtigste wäre, die Grenzen zu öffnen. Aber bei der Situation, so wie sie ist, würde ich sagen Bildung und wenigstens ein Dach über dem Kopf, Schutz vor dem Regen. Wie soll das sonst im Winter gehen? Also Zelten für den Europäer, das ist ja ganz nett für eine Woche. Aber du kannst ja nicht dein Leben in Zelten verbringen, und dann kommt ja auch noch der Schnee…“
Axel: „Das heißt also zuerst die wichtigste Nothilfe, Unterkunft, Bildung gewährleisten, dass die größte Not gelindert ist?“
Daniela: „Ja, das ist das Minimum, wir haben von allem genug, leben im Überfluss. Wir haben zwar auch Herausforderungen in unserem eigenen Land, auch die Fluthilfe ist wichtig, aber wir haben, zumindest die Meisten, ja Versicherungen. Die hier haben nichts, die Kinder die während der Flucht geboren werden haben noch nicht mal eine Identität. Das muss man sich mal überlegen. Du wirst irgendwo geboren und existierst nicht.“

Vorbereiten der Essensverteilung in Velika Kladusa

„Was ich zum Beispiel auch nicht wusste ist, dass die Menschen hier nicht Busfahren, sich nicht weiterbewegen dürfen“.

Axel:„ Du hast heute mit vielen Menschen auf der Flucht gesprochen, erinnerst du dich da an irgendwelche Sätze besonders, etwas, das in deinem Kopf bleibt, oder ist es mehr das Gesamtbild?“
Daniela: „Ich denke, es ist mehr das Gesamtbild. Was mich einfach am meisten beeindruckt hat, das sind die Menschen. Menschen wie du und ich, teilweise sehr gebildet. Ich habe mit jemanden gesprochen, der sieben Sprachen beherrscht! Wenn du dir jetzt überlegst, du müsstest in eine Kultur, in ein Land, in dem dir alles fremd ist, du lebst dort irgendwo, bist vielleicht nicht mal geduldet und selbst wenn doch, dann lebst du permanent mit Angst, einen falschen Schritt zu machen. Was ich zum Beispiel auch nicht wusste ist, dass die Menschen hier weder Bus- noch Taxifahren dürfen, wer sie mitnimmt im Auto macht sich strafbar. Das wird so auch nicht kommuniziert. Krass ausgedrückt: Das was wir durch unsere Medien erfahren, entspricht nicht den nicht den Tatsachen, so wie ich das hier erlebe. Das ist eher Volksverdummung.“

„Klar, auch in Deutschland gibt es Schicksale, aber wenn du diese Energie aufbringst, die Leute aufgebracht haben, um hierherzukommen, dann wärst du in Deutschland ein Superstar.“

Axel: „Was wäre die reale Nachricht, was müsste nach Deutschland kommuniziert werden?“
Daniela: „Wie es genau funktioniert. Das heißt, die Menschen kommen in eine Region, die soundso viele Quadratmeter groß ist, die du nur zu Fuß durchqueren kannst. Der Westen bezahlt Menschen, die sich Polizei nennen dafür, dass sie diese Menschen zurückprügeln. Ihnen wird alles abgenommen. Es muss kommuniziert werden, dass beispielsweise die Afghanen, die jetzt eigentlich in Deutschland willkommen sein müssten, 200km zu Fuß nach Sarajevo in die Botschaft laufen müssten. Und keiner darf ihnen helfen. Das Gesetz lautet: wenn wir ihnen helfen, machen wir uns strafbar. Das muss einmal ganz klar sagen, das sind die Regeln.“
Axel: „Und das müsste mal kommuniziert werden?“
Daniela: „Das muss man ganz klar kommunizieren, dass es so läuft und zwar jeden Tag.“
Axel: „Nun macht ja Rotary ganz viele tolle Projekte in der Welt. In Afrika, Asien, eure Impfprojekte… und ganz viele richtige und wichtige Sachen. Was ist also die Motivation, jetzt gerade hier zu unterstützen?“
Daniela: „Weil es bei uns ist.“
Axel: „So nah dran?“
Daniela: „Ja, das ist bei uns, vor der Haustür. In Deutschland haben wir ein perfektes Sozialsystem, es muss niemand auf der Straße schlafen, der das nicht will, ganz einfach. Klar, auch in Deutschland gibt es Schicksale, aber wenn du diese Energie aufbringst, die Leute aufgebracht haben, um hierherzukommen, dann hättest Du einen riesigen Erfolg. Das muss man sich mal überlegen: Die sind hier nichts, bekommen 5kg Lebensmittel pro Familie pro Woche und haben so viel Energie aufgewendet, das habe ich in meinem ganzen Leben aufgebracht und ich habe eine Firma aufgebaut. Und da jammern wir in Deutschland, und in Europa.“

Axel: „Daniela, vielen Dank für das Interview!“

Das Interview führte Axel Grafmanns