Nothilfe von Herzen

Die dritte Fahrt nach Polen innerhalb eines Monats – Rotes Keuz Białystok, Fundacja Ocalenie, Grupa Granica, lokale Anwohner:innen und der MDR: Ein Bericht von fünf Stationen.

Station 1 Biesenthal bei Berlin
Ich werde wahnsinnig“. Es ist 18:15 Uhr, wir sind in unserem Lager in Biesenthal. Die GLS Bank hat eben die letzten Sachspenden vorbeigebracht, der 7,5 t LKW ist bis zum Rande gefüllt, und ich versuche mit dem polnischen LKW Maut System klar zu kommen, was mich an meine Grenzen bringt. Wir sind zu dritt in der Fahrerkabine, Marie, der nette Journalist Baran, der einen Podcast produzieren möchte und ich. Und während Baran gleich loslegt, und Marie interviewt, unterbreche ich immer wieder das Ganze. „Und Marie, wie bist du zu Wir packen’s an gekom….“-„äääh, Moment mal, ich muss euch wieder unterbrechen-welche Emmisionsklasse hat die Kiste?“… Nach einer Stunde ausprobieren und kämpfen mit der polnischen Maut App treffen wir die zwei Frauen von der Märkischen Oderzeitung am Grenzübergang Küstrin, die uns begleiten möchten. Immer noch nicht haben wir es geschafft, den LKW im Maut System anzumelden. Wir fahren nach Frankfurt Oder zu einer „realen“ Mautstelle, die Journalistinnen können zum Glück polnisch. Das Ganze nimmt Slapstick Charakter an: Weil ich ein Huawei Handy habe, kann ich nicht googleApps nutzen. Wir schaffen es aber auf Barans Handy, der aber nicht wieder mit uns zurückfährt, deshalb können wir sein Handy doch nicht nutzen. Der Speicherplatz auf Maries Handy wiederum ist zu klein…nach 2 Stunden schafften wir es mit vereinten Kräften. Es ist jetzt 22 Uhr.

Station 2 Rotes Kreuz Białystok
Nach langer Fahrt und immer wieder Fahrer:innenwechsel alle 2 Stunden kommen wir total fertig früh um 7 Uhr im Hotel in Białystok in Ostpolen an. Es ist mein dritter Tripp innerhalb von 4 Wochen. Zwei Stunden versuchen zu schlafen, zwischen drin die Veranstaltung am Sonntag vor dem Reichstagsgebäude mit anderen Orgas abstimmen und mit der Polizei in Berlin deswegen mehrmals telefonieren, frühstücken und los geht es zum Roten Kreuz, dem zentralen Lager der Grupa Granica. Es hat geschneit, wie muss das für die Menschen im Wald sein?
Von den zugebauten Gängen mit unseren Hilfsgütern von vor 3 Wochen ist nichts mehr zu sehen, alles weg. Die nette Direktorin des Roten Kreuzes von Białystok begrüßt uns, wir kennen uns nun mittlerweile, Vertrauen hat sich aufgebaut. Eine Delegation des Deutschen Roten Kreuzes ist auch da. Wir packen’s an scheint ein Begriff zu sein, ich werde gefragt was ich glaube was dringend benötigt wird, und ob wir das alles ehrenamtlich machen. Auch das DRK will jetzt einen Transport schicken, mein erster Gedanke ist „Dann können wir jetzt wirklich einen Gang runter schalten“…
Der MDR filmt, ich kenne die TV-Combo aus Bosnien. Beim Ausladen bekomme ich ein Mikro angesteckt und Fragen gestellt. Außerdem ist ein Fotograf von Medico International da und natürlich die zwei Journalistinnen von der Märkischen Oderzeitung.

Station 3 Ocalenie
Wir fahren zum diskreten Lager der Stiftung Ocalenie und laden den zweiten Teil unseres Transportes aus. Das Lager hier ist noch gut gefüllt, Ocalenie will nur bestimmte Artikel, die sie auch bekommen. Handwärmer, Schlafsäcke, Thermohosen… Wir werden wieder zum Kaffee eingeladen von Anna, ich weiche auf Tee aus. „Alle wollen, dass das endlich aufhört“ sagt Anna. Ich bitte um WLAN Zugang, um die Fotos für Social Media zu Hause hochzuladen, den ich auch bekomme. „Es gibt kaum noch Interventionen, es kommt niemand mehr durch“ berichtet Anna. Parallel versuche ich die Bilder für Social Media hochzuladen, irgendwas hakt, ich fühle mich gestresst. Nancy von der Märkischen Oderzeitung fragt Anna „Findest du die Mauer richtig, die hier gebaut werden soll?“ Anna wirkt nachdenklich und antwortet etwas ausweichend. Die Fotos sind endlich hochgeladen. Marie und ich verabschieden uns, wir müssen weiter.

Station 4 Hajnowka
Der MDR hat gebeten, dass ein Kameramann in der Fahrerkabine mitfahren kann. Früh fragte ich meinen Kontakt in Hajnowka, ob wir Journalist:innen mitbringen dürfen. Basia lehnt ab, über Signal kommt die Message „Ich war die ganze Nacht im Wald, muss jetzt ins Krankenhaus zu Geflüchteten. Die Journalist:innen sollen in Bialystok Interviews führen, wir wollen keine Medien hier.“ Also ist die Abmachung, den MDR mit nach Hajnowka zu nehmen, ihn irgendwo rauszulassen aber dann allein zum Treffpunkt zu fahren. Die durchgemachte Nacht fordert langsam ihren Tribut. Wenn der MDR Journalist seine Frage stellt, kann ich sie mir nur kurz merken, aber wir haben viel Zeit und filmen mehrere Durchläufe. Es dauert ungefähr eine Stunde bis wir da sind. Zwischen drin halten wir noch an, und drehen ein gewünschtes Handyvideo für die ARD. Dann Polizeikontrolle, ich bin gespannt was passiert mit unserem LKW mit deutschen Kennzeichen. Nichts passiert, Passkontrolle des vermummten Polizisten und wir dürfen weiter. Nachdem wir den Journalisten rausgelassen haben, fahren Marie und ich zum Treffpunkt mit lokalen Anwohner:innen, die die Menschen im Wald versorgen. Ich bewundere einmal mehr die routinierten Fahrkünste von Marie durch enge Straßen und matschige Gassen. Unsere bewährte Arbeitsteilung: Während Marie fährt, telefoniere oder schreibe ich mit Kurdischem Roten Halbmond, Sächsischem Flüchtlingsrat… und vielen anderen.
Das Ausladen ist gut organisiert, 5 Personen packen mit an. Auch hier werden wir zum Kaffee eingeladen, ich weiche wieder auf Tee aus. Das Wohnzimmer ist vollgestellt mit WPA Kisten, nichts geht mehr. Ich frage Basia, ob noch Menschen im Wald sind „Natürlich, auch noch viele Familien. Bei den Wetterbedingungen ist das eine Herausforderung. Manche sind so traumatisiert, dass sie uns nicht mehr erkennen, leer durch uns durch schauen,“ beschreibt Basia die Lage. Ich bekomme das Gefühl, dass die Hilfsgüter hier richtig sind. „Die Beschreibungen von der belarussischen Seite werden immer grausamer. Es soll so eine Art Folterzentren geben, wo auf Menschen stundenlang eingeprügelt wird. Die Taktik hat sich auch geändert: Wenn ein Loch im Zaun ist, rennen 150 Menschen in alle Himmelsrichtungen los, davon schaffen es dann 20“. Die Mutter von Basia kommt und schenkt uns Honig, wir sind gerührt, sie sind gerührt, alle sind gerührt. Der Kuchen auf dem Tisch ist köstlich. Basia lacht „Der Kuchen ist aus Warschau. Es gibt jetzt die Initiative „Kochen für die Grenze“ aus Warschau und Krakau. Sie kommen vorbei und bringen Essen für uns, damit wir den Menschen im Wald helfen können. Wir haben keine Zeit mehr“. Ich bin wiedermal begeistert von den polnischen Aktivist:innen. „Meine Großmutter erzählte mir, dass in unserem Dorf im Krieg zwei Personen von 100 Einwohner:innen jüdische Menschen hier versteckt haben. Nur zwei von 100! Dem fühlen wir uns verpflichtet“. Wir werden zum Übernachten eingeladen und bekommen noch polnischen Schnaps geschenkt verbunden mit der unbedingten Bitte, wenn das alles vorbei ist hier mal wieder zu kommen und hier Urlaub zu machen. An meiner emotionalen Reaktion merke ich, dass ich ne Pause brauche…

Station 5 Bassisstation an der Roten Zone
Unser Truck ist leer. Trotzdem steuern wir noch eine weitere Station an, wir können in eine Basisstation der Grupa Granica kommen. Eine befreundete Krankenschwester ist hier vor Ort um zu helfen. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wo der Ort ist, den wir schon vor 3 Wochen besucht hatten. Dann finden wir aber das Häuschens direkt an der Roten Zone. Sollen wir einfach reingehen? Die Krankenschwester geht nicht ans Telefon. Schließlich kommt jemand raus „Ah, wir packens ist das. Geht ruhig rein“. Wir werden gefragt, ob wir die regendichten Hosen mithätten. Nein, haben wir nicht, die sind beim Roten Kreuz. Ich erfahre erst jetzt, dass die hier gebraucht werden. Warum hat mir das niemand vorher gesagt? Aber alles wäre kein Problem, sie können sich ja beim Roten Kreuz in Bialystok bedienen. Marie und ich sitzen im Holzhäuschen vor dem Kamin und merken jetzt, wie müüüde wir sind. Langsam näheren wir uns den 48 h ohne Schlaf. Irgendwas passiert, alle werden etwas hektisch, ein Hilfseinsatz scheint bevor zu stehen. Wir wollen nicht stören, sind eh total durch und fahren zurück nach Bialystok durch den polnischen Urwald. Abends soll ich noch 2-3 Dinge für Wir packen’s an machen, ich kriege es nicht mehr hin.
Fazit: Was für ein Tag wiedermal. Wir packen’s an scheint mittlerweile jeder und jede in polnischen Aktivist:innenkreisen und unter den engagierten Anwohner:innen zu kennen. Gleich bin ich noch mit einer tollen polnischen Journalistin verabredet, die uns am Anfang sehr unterstützt hat.

Sag niemals nie, aber es war voraussichtlich mein letzter Trip nach Polen dieses Jahr. Und es war gut, nochmal was herzubringen! Auch wenn nichts wirklich geändert ist, die Situation nach wie vor grausam ist, habe ich das Gefühl, was geschafft zu haben. Wir sind Wir packen’s an aus Berlin-Brandenburg und wir leisten Nothilfe für Geflüchtete – schnell, direkt und vor allem vom Herzen.

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