“Sie haben mir das Handy weggenommen, die ganze Kleidung, die Schuhe. Und dann schlugen Sie gegen mein Bein und mein Knie. Die italienische Grenze war noch 10 km entfernt…10 km, ich hätte es fast geschafft.“ erzählt mir ein Iraner, der vom „Game“, dem Versuch die EU Außengrenze zu überwinden, wiederkam. „Die slowenische Polizei hat immer wieder zugeschlagen.“ Der Mann zeigt mir die Hämatome, und humpelt davon. Wie so oft bei gefolterten Menschen erzählt er alles mit einem verwirrenden Lachen, während wir mit einem eingefroren Gesicht zuhören. Die Berichte häufen sich vom brutalen Vorgehen der slowenischen Polizei. Es scheint eine illegale Zusammenarbeit der europäischen Polizeibehörden zu geben, um Menschen völkerrechtswidrig über Grenzen zurück zu bringen.
„Wie so oft bei gefolterten Menschen erzählt er alles mit einem verwirrenden Lachen, während wir mit einem eingefroren Gesicht zuhören.“
3 h vorher: Wir sind angekündigt, Menschen in einem verfallenes Haus wo mehrere afghanische Familien leben, heißen uns willkommen. Wir sitzen im Kreis auf alten Teppichen. Die Fliegen hier sind unerträglich und schwirren um meinen Kopf. Viele erzählen von ihrem Traum, nach Deutschland zu kommen, ein Leben zu haben. Viele berichten von Grausamkeiten der Taliban, von der persönlichen Zusammenarbeit mit westlichen Organisationen oder NGOs. Einer zeigt mir ein Bild von Masar-e Scharif, ein Foto von einem ehemaligen Bundeswehrgebäude dort. Es ist nicht so, dass erst jetzt Menschen versuchen aus der Hölle Afghanistan rauszukommen, Krieg und Gewalt existieren dort schon seit Jahrzehnten, der Krieg entwurzelt Menschen, zwingt diese zur Flucht – nicht erst in den letzten Tagen.
„Es ist nicht so, dass erst jetzt Menschen versuchen aus der Hölle Afghanistan rauszukommen, Krieg und Gewalt existieren dort schon seit Jahrzehnten, der Krieg entwurzelt Menschen, zwingt diese zur Flucht – nicht erst in den letzten Tagen.“
Ein junges Mädchen, vielleicht 12 Jahre alt, versucht stolz ihre wenigen deutschen Sätze vorzutragen. „Wie heißt du?“ „Wie alt bist du?“. Sie berichtet auch, dass sie auf dem Weg nach Deutschland sind, und das sie so gerne schon mal Deutsch lernen würde, aber es gibt hier keine Bücher Farsi-Deutsch. Sie fragt, ob ich ihr was besorgen könne. Ich fange an zu überlegen, wo ich ein Buch Deutsch-Farsi herbekomme…vielleicht ein Kinderbuch mit Bildern oder so?
In der Ecke sitzt ein älterer Mann und starrt vor sich hin. Seine Familie wohnt vor dem Haus, in einem Zelt. Ich frage, warum sie davor wohnen und nicht in der Ruine wie die Anderen. „Es ist einfach kein Platz mehr. Aber hier ist er in Sicherheit“ sagt ein gut englischsprechender Mensch. „Seine Frau ist beim Grenzübertritt von der Türkei nach Griechenland vor einem Jahr gestorben. Der Stress, die Angst und das viele Laufen hat sie umgebracht. Hier in Bosnien ist er oft verprügelt worden, aber jetzt ist er bei uns, in Sicherheit“. Traurige Augen seiner Kinder schauen mich aus dem Zelt an.
„Seine Frau ist beim Grenzübertritt von der Türkei nach Griechenland vor einem Jahr gestorben. Der Stress, die Angst und das viele Laufen hat sie umgebracht.“
Etwas später sind wir im Bangladesch-Forest. Ich war schon mal im Winter hier. Da war alles eine Schlammwüste, jetzt ist es wenigstens trocken. Im Wald haben sich Menschen aus Bangladesch „eingerichtet“ in Plastikverschlägen. In der Mitte brennt ein Feuer. Die freundlichen Menschen aus Bangladesch erzählen uns von ihren Fluchtversuchen über die bosnisch-kroatische Grenze. 10 mal, 20 mal, 60 mal….irgendwann muss es klappen. Unsere bosnische Partnerorganisation Rahma verteilt Essen, für die nächsten drei Monate bezahlt Wir packen‘s an das Essen für 7.000 € monatlich aus unserem Nothilfefond, dem wir für solche Fälle so eingerichtet haben. Wie es danach weitergehen soll, weiß niemand, 7000 € im Monat bekommt wir nicht dauerhaft zusammen.
„Kannst du mich nach Italien bringen?“
Als wir fahren wollen, kommt ein junger Mann aus dem Wald, und fragt den bosnischen Volontär „Kannst du mich nach Italien bringen?“. Er verneint „Wir können euch mit Kleidung und Essen helfen, aber das kann ich nicht für dich tun. Tut mir leid“. Es wirkt aufrichtig, enttäuscht geht der Mann wieder in den Wald. Es ist die Hoffnung, an die sich alle klammern. Wir haben eine Verantwortung als privilegierte Menschen, damit achtsam umzugehen. Die Wahrheit ist: Die wenigsten werden es schaffen, zu uns, in den Wohlstand.
Wir fahren zur nächsten Station. Eigentlich eine wunderschöne Ecke, sehr bergig, fast alpin. Auf einer kleinen Lichtung haben sich ein paar Pakistanis eingerichtet. Wir bringen Kartoffeln. Sie sind gerade beschäftigt mit Brot backen, Fladenbrot. Ein Pakistani erzählt mir, dass er geflüchtet ist, weil es keine Arbeit gab in Pakistan, keine Perspektive, keine Zukunft. Sie sind auch seit Jahren unterwegs, wie so viele, 2, 3 oder 4 Jahre. Er zeigt mir seine Hände. Es fehlen die Finger. Nur noch Stummel sind da. „Es war sehr kalt als wir unterwegs waren im Winter. Da sind mir die Finger abgefroren. Oh, es war so kalt….“
Es ist „normal“ geworden, dass Menschen keine Zukunft haben und wir unsere Herzen verschließen, es ist normal geworden, dass Menschen gefoltert werden, weil sie von A nach B wollen. Es ist normal geworden, dass wir Menschen in Kategorien packen.
Ein Volontär erzählte mir vor 2 Tagen, dass sie den Menschen auf der Flucht versuchen beizubringen, dass sie auch Rechte haben – sie glauben es nicht mehr. Du musst einen Menschen in die Augen sehen, um Kategorien wie „Flüchtlinge“ beiseite zu tun. Die wenigstens halten dann noch ihre Vorurteile aus. Afghanistan beherrscht gerade alles. Versagen, Ignoranz und Grausamkeit ist öffentlich geworden und findet Interesse. Nur diese himmelschreiende Ungerechtigkeit gibt es schon lange, auf allen Ebenen. Und wenn Kabul wieder nur eine Stadt da irgendwo in Asien ist, dann kehren wir wieder zurück zur absoluten Ignoranz gegenüber Schutzsuchenden, egal ob sie irgendwie mit einer deutschen Behörde zusammen gearbeitet haben oder nicht.
Wieso gehen wir so mit MENSCHEN um?
Axel Grafmanns