Menschen auf der Flucht in Bosnien-Herzegowina – warum ist das ein Hot-Spot?

Gegenwärtig befinden sich ca. 10.000-12.000 Menschen auf der Flucht in Bosnien-Herzegowina, denen grundlegende Menschenrechte vorenthalten werden. Ähnlich wie in Griechenland sind die Lager überfüllt, so dass viele Menschen gezwungen sind, sich außerhalb der Lager einzurichten. Sie leben teilweise in verlassenen Ruinen oder in Wäldern, haben keine Möglichkeit sich adäquat hygienisch zu versorgen, also im Klartext: sich zu säubern und sich gesund zu halten. Die Folge sind schwere Hautkrankheiten wie die überall verbreitete Krätze. Jeder Mensch hat das Recht auf eine angemessene Gesundheitsversorgung, das ist schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankert. Eine allgemeine Gesundheitsversorgung ist auch in der Agenda 2030 vom UN-Gipfel im Jahr 2015 in New York als Ziel 3 genannt. Doch nicht nur die Gesundheitsversorgung, auch die Essensversorgung oder Kleidungsausstattung wird größtenteils nur von ein paar NGOs rudimentär gewährleistet.


Die meisten Migrant:innen in Bosnien-Herzegowina halten sich im Una-Sana Kanton rund um die Städte Bihac und Velika Kladusa an der kroatischen Grenze auf. Während Bihac durch den Brand des Lagers Lipa entsprechende Medienaufmerksamkeit bekam, wird der zweite Hotspot -Velika Kladusa – kaum beachtet und erhält demzufolge auch weniger Unterstützung. Es gibt vor Ort das Camp „Miral“ mit ca. 600-700 Personen, das momentan jedoch keine Menschen mehr aufnimmt. Lokale Hilfsorganisationen schätzen die Anzahl der Menschen in Velika Kladusa außerhalb des Lagers auf nochmal 600 Personen im Winter und 1.200 Personen im Sommer.


Ursachen

Die Herkunftsländer der Menschen auf der Flucht in Bosnien-Herzegowina sind u.a. Türkei, Irak, Pakistan, Afghanistan, Syrien oder die Mahgreb Staaten. Der Mehrzahl der ankommenden Geflüchteten sind Männer, ca. 12 % sind Frauen und 20 % sind Kinder.

Warum kommt es nun zur humanitären Katastrophe für diese Menschen in Bosnien-Herzegowina? Die Ursprünge liegen weit zurück in der europäischen Asylgesetzgebung und den sogenannten Dublin-Verträge. Zwischen den Jahren 1990 und 2000 wurden die europäischen Asylgesetze in der Europäischen Union verhandelt. Uneinigkeit herrscht bis heute, wer für wieviel Asylantragsteller:innen verantwortlich ist, es führt regelmäßig zu Konflikten innerhalb der EU. Durchgesetzt hat sich die gegenwärtige Regelung, dass Asyl dort beantragt wird, wo die Menschen den Boden des jeweiligen, ersten EU-Landes betreten, am Beispiel der Geflüchteten in Bosnien-Herzegowinas wäre das Kroatien. Da Menschen in der Regel vor Hunger, Not, Perspektivlosigkeit oder Verfolgung flüchten, passiert das selten gut geplant oder mit dem Flugzeug (was Fluggesellschaften sowieso verweigern würden), sondern eher spontan, auf dem Landweg oder übers Mittelmeer und unter schlimmen, teils traumatischen Bedingungen während der Flucht. Die Folge ist, dass die Zahlen der Asylantragsteller:innen in Ländern wie Deutschland rapide abnahmen im Gegensatz zu den sechsstelligen Zahlen in den 90er Jahren. Dagegen sammeln sich die notleidenden Menschen an den EU-Außengrenzen, also konkret in Griechenland, Italien, Spanien oder eben in Bosnien-Herzegowina. Dort stecken sie oft fest, ihre Grundbedürfnisse werden missachtet und ihre Menschenrechte verletzt.

Durch die Auslagerung des Problems an die EU-Außengrenzen sehen südliche EU-Staaten wie Kroatien offenbar nur eine Chance, die Asylantragstellung zu unterbinden: Sie verhindern, dass das Recht auf Asyl überhaupt individuell geprüft wird und bringen die Menschen wieder zurück aus der EU raus, also in dem Fall nach Bosnien-Herzegowina. Dabei schrecken die kroatischen Polizeibehörden auch vor massiver körperlicher Gewalt nicht zurück, den Menschen wird oftmals alles abgenommen. Die Rolle der Europäischen Polizeiagentur Frontex ist dabei bestenfalls zweifelhaft“ und muss aufgeklärt werden. Obwohl auch das Recht auf Asyl ein Menschenrecht ist, und die beschriebene Praxis unter anderem gegen kroatisches und europäisches Recht verstößt, ebenso gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention, ist das traurige Realität an der Bosnisch-Kroatischen Grenze.  Im Einzelfall bedeutet das, dass Menschen 40-50 mal versuchen die Grenze zu überwinden, nachdem sie teilweise 1-2 Jahre auf der Flucht mit traumatisierten Erlebnissen hinter sich haben. Sie werden immer wieder nach Bosnien-Herzegowina deportiert und versuchen es erneut, weil die Perspektive oder sinnvolle Alternative fehlt.

Diese Praxis wird von anderen EU-Staaten geduldet und gefördert, indem in den sogenannten „Grenzschutz“ anstatt in die Verbesserung der Notsituation der Menschen investiert wird, unter anderem auch von Deutschland.

Flucht ist kein Verbrechen, sondern eine Konsequenz aus der Ungleichheit der Welt. Illegal ist jedoch, nicht einmal die Grundbedürfnisse der Menschen auf der Flucht zu befriedigen, so wie es internationale Abkommen und das Völkerrecht im Allgemeinen vorsehen. Und so existiert eben keine Gesundheitsversorgung, oftmals keine adäquate Nahrungsversorgung, die Praxis der illegalen Push-backs ist an den EU-Außengrenzen verbreitet und das individuelle Prüfen des Rechts auf Asyl wird vorenthalten.


Wie weiter?

Gegenwärtig wird global von ca. 80 Millionen Menschen auf der Flucht gesprochen, die Zahlen steigen rasant. Die meisten Geflüchteten kommen aus nur 5 Ländern, darunter auch Syrien und Afghanistan, die im unmittelbaren „Einzugsgebiet“ zur Europäischen Union liegen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen sind nicht beendet und können jederzeit weiter eskalieren.

Die Fluchtursachen sind vielfältig: Armut, Krieg (wie in Afghanistan oder Syrien), Perspektivlosigkeit, Klimawandel oder andere. In Velika Kladusa lebt beispielsweise eine arabische Familie mit ihren Kindern, die vor der Blutrache in ihrem Heimatland geflüchtet ist. Hinzukommt, dass EU-Gelder und internationale Gelder für Bosnien-Herzegowina nicht bei den Bedürftigen ankommen. So ist die Rede von 90 Millionen Euro, die intransparent versickert sind oder teilweise selbst für Polizeiausrüstung ausgegeben wurden, nur anscheinend weniger für geflüchtete Menschen.

Es ist nicht anzunehmen, dass die Anzahl an Geflüchteten sinkt, im Gegenteil, die Zahl wird die nächsten Jahrzehnte zunehmen, und die politische Situation wird ebenso „ungelöst“ bleiben. Insbesondere seit sich in Deutschland und den nördlichen EU-Staaten mit den Erfahrungen aus dem Jahr 2015 die Erkenntnis durchzusetzen scheint, dass sich die Situation von 2015, also die Aufnahme von Geflüchteten aus humanitären Gründen, nicht wiederholen darf – also im Klartext: dass die Grenzen möglichst geschlossen bleiben sollen, koste es was es wolle. Schließlich hängt davon maßgeblich der nationale Wahlerfolg ab. Die angestrebte Externalisierung der Asylverfahren in  der EU lässt darauf schließen, dass das „Problem“ auch weiterhin in Bosnien existent bleibt. Sollte Bosnien-Herzegowina der EU beitreten, dann wird sich das Elend an die nächste EU-Außengrenze verschieben. Was also konstant bleibt ist, dass die Menschen leiden.

Wir packen’s an fordert deshalb eine Umkehr in der Migrationspolitik, das heißt:

  • Das Einhalten der Menschenrechte und des Völkerrechts im Allgemeinen an den EU-Außengrenzen, wie beispielsweise das individuelle Prüfen des Rechts auf Asyl oder eine adäquate Gesundheitsversorgung.
  • Einen gerechten Verteilschlüssel in der EU für Migrant:innen unabhängig von der geografischen Lage des EU-Staates.
  • Eine unabhängige Untersuchung der Push-backs in Kroatien und Griechenland und das Heranziehen von Verantwortlichen für diese illegale Praxis. Ebenfalls muss die Rolle von Frontex dabei geklärt werden und bei Verstößen müssen personelle Konsequenzen gezogen werden bzw. die Agentur in der jetzigen Struktur aufgelöst werden.
  • Die Bedingungen für Geflüchtete an den EU-Außengrenzen müssen Mindeststandards erfüllen, es muss gewährleistet sein, dass staatliche Gelder bei den Bedürftigen ankommen.
  • Ein sofortiges Evakuieren der Geflüchteten aus den menschenunwürdigen Bedingungen in Bosnien-Herzegowina und der Ägäis nach Deutschland. Es handelt sich dabei akut um weniger als 35.000 Menschen.
  • Legale und sichere Fluchtwege in die EU und ein Ende der Externalisierungspolitik jenseits aller zivilgesellschaftlicher Kontrolle.