Koalitionsverhandlungen – Brief an die Mitglieder der Arbeitsgruppe Migration



Sehr geehrte Damen und Herren,

als Vertreter:innen des Vereins “Wir packen’s an – Nothilfe für Menschen auf der Flucht” wenden wir uns mit einem dringenden Appell an Sie, die Mitglieder der Arbeitsgruppe Migration: Der aktuelle Verhandlungsstand besorgt uns, er greift zahlreiche Forderungen der rechtsextremen AfD auf. Werden sie umgesetzt, wird sich die Lage von Schutzsuchenden drastisch verschlechtern. Bitte verhindern Sie ein weiteres Erodieren von Menschen- und Flüchtlingsrecht – errungen aus den gewaltvollen Lehren der deutschen Geschichte. Wir haben sowohl den in Bezug auf das Thema Migration radikalisierten Wahlkampf als auch die Koalitionsverhandlungen aufmerksam verfolgt. Mit diesem Brief übermitteln wir Ihnen unsere Bedenken und Forderungen:

1. Zurückweisungen an den Grenzen
Geplante Zurückweisungen an den deutschen Grenzen widersprechen der Dublin-Verordnung, die eine Zuständigkeitsprüfung vorschreibt, und Menschenrechten wie dem Verbot der Kollektivausweisung. Solche Maßnahmen wurden bereits in der Vergangenheit als unions- und völkerrechtswidrig eingestuft und fördern zudem illegale Pushbacks an den Außengrenzen.

→ Unsere Forderung: Verzicht auf pauschale Zurückweisungen und Sicherstellung der individuellen Prüfung jedes Asylgesuchs, um den Schutzsuchenden gerecht zu werden und internationale Verpflichtungen einzuhalten. Suche nach europäischen Lösungen.

2. Familiennachzug
Die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte löst keine Probleme – sie schafft neue. Sie führt zur langfristigen Trennung von Familien und erschwert die Integration der Betroffenen. Das Recht auf Familienleben ist ein Menschenrecht.

→ Unsere Forderung: Beibehaltung und Förderung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, um humane Lebensbedingungen und Integration zu gewährleisten.

3. Wechsel zum Beibringungsgrundsatz im Asylverfahren
Die geplante Änderung im Asylrecht erschwert faire Verfahren erheblich. Schutzsuchende unterliegen bereits umfassenden Mitwirkungspflichten. Die geplante Umkehr der Beweislast kann bewirken, dass schutzbedürftige Menschen ungerechtfertigt abgelehnt werden.

→ Unsere Forderung: Erhalt des Amtsermittlungsgrundsatzes, um sicherzustellen, dass der gesamte Sachverhalt ermittelt und faire Verfahren gewährleistet werden.

4. Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten
Die geplante Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ignoriert durch pauschale Ablehnung der Asylanträge individuelle Schutzbedarfe. Abschiebungen in unsichere Staaten erfordern die Zusammenarbeit mit autokratischen und/oder islamistischen Regimen.

→ Unsere Forderung: Sorgfältige Überprüfung der Sicherheitslage sowie individuelle Prüfung der Asylanträge. Keine Abschiebungen in unsichere Verhältnisse!

5. Wiederaufnahme von Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien
Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien, wo weiterhin unsichere Bedingungen herrschen, sind unverantwortlich und lebensgefährlich. Erst vor wenigen Wochen ereignete sich in Syrien ein Massaker an der alawitischen Minderheit mit über tausend Toten.

→ Unsere Forderung: Keine Abschiebungen in Krisengebiete und unsichere Länder, sondern Gewährung von Schutz für Menschen, die aus diesen Regionen fliehen.

6. Einstellung freiwilliger Aufnahmeprogramme
Die geplante Beendigung von Programmen wie dem Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan bedeutet Deutschlands Rückzug aus humanitärer Verantwortung und lässt besonders Gefährdete im Stich.

→ Unsere Forderung: Legale Zugangswege müssen ausgebaut, nicht abgeschafft werden! Fortführung und Ausbau von Aufnahmeprogrammen wie dem BAP. Aufnahmezusagen müssen eingehalten werden. Die Anträge der 17.000 Menschen, die bereits iRd BAP ausgewählt und kontaktiert wurden und denen große Hoffnung auf Rettung gemacht wurde, müssen abschließend bearbeitet und beschieden werden.

7. Einführung der Bezahlkarte für Asylsuchende
Die bundesweite Einführung der Bezahlkarte schränkt die Selbstbestimmung von Asylsuchenden ein und stigmatisiert. Erste Klagen dagegen waren erfolgreich.

→ Unsere Forderung: Verzicht auf die verpflichtende Einführung der Bezahlkarte und stattdessen würdevolle Unterstützung.

Wir appellieren an Sie: Gestalten Sie eine Asylpolitik auf Grundlage von Menschlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Integration. Wir positionieren uns gegen eine Radikalisierung in der Debatte, die die Menschenrechte ebenso wie den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährdet. Migration ist eine Konstante der Menschheitsgeschichte und erfordert eine zugewandte, zukunftsorientierte Politik. Setzen Sie sich für Lösungen ein, die sowohl den berechtigten Sicherheitsinteressen Rechnung tragen als auch den Schutz von Menschen in Not gewährleisten. Deutschland kann und muss eine Vorreiterrolle für eine faire und humane Asylpolitik in Europa übernehmen.

Mit freundlichen Grüßen.
Wir packen’s an e.V. – Nothilfe für Geflüchtete