Ein Kinderlachen ist Lohn genug – Wir packen’s an bringt Clowns ins Lager Moria 2
Die Kinder im neuen Elendslager „Moria 2“ in Lesbos benötigen dringend etwas Hoffnung und Freude hinter dem Stacheldraht. So kamen wir auf die Idee, professionelle Clowns ins Lager zu bringen! Anfang Juli waren unsere Ronja und Mimi vor Ort, um die Zusammenarbeit mit unserem Partner Rote Nasen International zu koordinieren. Jeden Tag, den wir den über tausend Kindern im Camp etwas Hoffnung geben konnten, war ein Gewinn. Es ging um Zusammenarbeit, Zusammenhalt und das Gefühl, etwas schaffen und bewältigen zu können. Empowerment also! Unser Vorstandsmitglied Ronja war vor Ort dabei und nimmt Dich mit auf ihre Reise:
Der Rucksack ist gepackt. Halbleer obwohl nur Handgepäck – hoffentlich nichts vergessen. Komisches Gefühl nach für mich so langer Zeit wieder am Flughafen zu sein. Ich steige ein ins Flugzeug, ein Vorgeschmack der Bitterkeit im Mund, der mich erwarten wird. Doch IRGENDWAS zu tun, IRGENDWIE zu versuchen, etwas zu bewegen, ist noch immer mehr als nichts. Auf Lesbos angekommen sehe ich das neue Lager, Moria 2. Es ist aufgeräumt, streng bewacht, keiner darf raus, keiner ohne Genehmigung rein. Abgeschlossener Raum. Gefängnis. Kein fließendes Wasser, da die Stadtbewohner einem Anschluss des Camps an das Wassersystem nicht zustimmen, dafür Wasserlieferungen mit LKWs für 170.000 Euro im Monat. Der ganze Ort ist still, lebendiges Grabmal. Figuren, wie Schatten, schleichen umher, stumpfe Augen, die ihr Feuer verloren haben. Hoffnungslosigkeit, Perspektivlosigkeit. Stumme Kinder, in sich gekehrt, schweigend, wirken wie alte Greise. Zu viel gesehen, zu viel getragen, schließlich gebrochen. Und all dies direkt neben dem kleinen, malerischen Städtchen, Hafen, Schloss. Touristen sonnen sich am Strand, daneben ein kommunistisches Jugendcamp, Marschmusik zu griechischen Parolen. Himmel liegt neben Hölle. Manchmal näher als du glaubst.
Ich geh mit zwei der Clown-Doctors vom Emergency Smile Team, wie die Roten Nasen auch heißen, in ein SOS Kinderdorf in der Stadt. Hier sind die vulnerabelsten ca 70 Kinder aus dem Camp und der Stadt (also Geflüchtete und lokale) grüppchenweise über den Vormittag verteilt. Haben ein bisschen Schulunterricht, ein bisschen Spielzeit und vorallem: eine Möglichkeit, der Tristess für einen Augenblick zu entfliehen. Wir haben hier 3 Gruppen à 10 Kinder (fast alle aus dem Camp) für jeweils ca 45min. Machen Spiele mit ihnen in einer Art Workshop, es geht vorrangig um Zusammenarbeit, Zusammenhalt und das Gefühl, etwas schaffen, bewältigen zu können. Empowerment also, das Gefühl, etwas bewirken zu können, ausbrechen aus der Passivität in die sie sonst durch das Leben im Camp, durch Andere, die von Geburt an über ihren Weg entschieden haben bestimmt wird. Geboren in unsicheren Verhältnissen, geflüchtet vor Terror, Angst, der Unmöglichkeit eine Existenz aufbauen oder erhalten zu können. Abhängig von Schleppern, Regierungen, politischen Entscheidungen und schließlich gestrandet in einem Zelt oder Container inmitten einer fremden Kultur, nur unbekannte Gesichter um sie herum, keine Perspektive, keiner mit Kapazitäten – physisch oder emotional – um sich um sie zu kümmern. Eltern die einen solchen Weg durchschritten haben, sind meist selbst hoch traumatisiert, bangen um ihr Zukunftsaussichten, sind angewiesen auf externe Entscheidungsträger. Da bleibt kein Raum zum Spielen mit dem eigenen Kind. Und vielleicht noch nichteinmal die Wahrnehmung kindlichen Heranwachsens, Fortschitten, jegwedes Lob bleibt aus. Das ist es, was wir den Kindern in diesen kurzen Momenten im Kinderdorf ermöglichen wollen. Das GEfühl, dass es etwas Gutes gibt in dieser Welt, dass sie etwas erreichen, bewirken können und, dass in allen anderen Kindern Menschen stecken, die sich in die selbe Richtung bewegen, dass gemeinsam stark macht, man nicht alleine sein muss.
Nach viel zu wenig Zeit geht es nachmittags dann ins Lager. Die Sicherheitskontrolle ist heute lax, kann mal so sein und mal so, wir können diesmal einfach reinlaufen. Die Stimmung bei unserem Partner Refugee 4 Refugees ist heute angespannt, da das Lager unter ständigem Umbau steht – wo heute Zelte stehen sind morgen keine mehr, dafür dann woanders – mussten sie mit einem Teil ihrer „Räume“ (ein einfacher Container und ein Schuppen aus Pressspanplatten) umziehen, das Auto von Craig wurde komplett demoliert (in der Stadt, nicht im Camp, vielleicht Anwohner, die ihn kennen und zum Gehen bewegen möchten, da viele NGO Mitarbeiter nicht gerne gesehen sind, vielleicht aber auch ganz andere, banale Gründe, aber das Kopfkino geht hier sofort an) und die Roten Nasen möchten heute zum ersten Mal in die Blaue Zone (das Camp ist in farbige Zonen eingeteilt, teilweise nach Nationen, aber auch nach Familienstand usw), die von der Energie her schwieriger scheint, als die bisher betretene grüne Zone. Von Emotionen ist auf den ersten Eindruck aber nicht viel zu bemerken. Es ist still, beinahe gespenstisch. Menschen sind zwar unterwegs, aber sie alle scheinen zu schleichen, huschen, so unsichtbar wie möglich sein zu wollen.
Die Clowns ziehen sich um, nach einer kurzen Strategiebesprechung geht es los, über den Kies, zwischen den Zeltreihen entlang. Einer spielt Trommel, einer Ukulele, eine dritte Tamborin, die vierte singt. Kinder kommen, langsam, vorsichtig, behutsam. Ein paar Wenige, die die Clowns schon von den Impfungen oder aus dem SOS Kinderdorf kennen, sind ein bisschen aufgeweckter, aber auch sie sehr zurückhaltend. Es bildet sich allmählich eine kleine Traube und dann, in einem einzigartigen, magischen Moment, öffnen sich die Gesichter, Lachen klingt durch die Luft, Funken springen in die Augen, Leblosigkeit, Marionettenhaftigkeit weicht dem einfachen, reinen Kind-sein. Auch ein paar Eltern kommen, die Blicke oftmals nicht auf die Clowns, sondern auf ihre Kinder gerichtet. Wann haben sie diese zuletzt lächeln gesehen? Wann lachen gehört? Wir gehen weiter.
Dem Zauber wird ein apruptes Ende gesetzt. Ein Polizeiauto fährt heran (diese sind überall im Camp, steigen nicht aus, fahren nur um die Zeltgruppen, beobachten, observieren), der darin sitzende Polizist hält die Clowns und auch die Freiwilligen von R4R, die uns begleiten, an und befiehlt uns, zu verschwinden. Zu viele Menschen auf einer Stelle (ca 40), still soll es sein, keine Ansammlungen, keine Dynamik darf entstehen. Wir verabschieden die Kinder, die Großen kümmern sich rührend um ihre kleinen Geschwister, tragen diese durch die Zeltreihen zurück „nach Hause“. Aber was hier kann schon zuhause sein? Beobachtet von Offizieren, unter einer gläsernen Glocke des Schweigens, der Hoffnungslosigkeit, ohne Perspektive? Ein Vater, der uns begleitet hat wird angehalten, er hat ein Handy in der Hand. Er muss es dem Polizisten ins Auto reichen, Fotos sind verboten im Camp, der Vater muss die Bilder seines gerade noch lächelnden Sohnes, der jetzt verängstigt zu ihm hochschaut, löschen. Festgehaltenes Glück wieder zerronnen. Wir dürfen nichts tun, uns nicht einmischen. Mit hängendem Kopf vorbei gehen. Wenn wir Ärger machen, fällt dies zurück auf R4R, dank denen wir Zugang zum Camp haben. Ihnen würde die Erlaubnis entzogen werden, sie müssten ihr Warehouse schließen, dürften nicht mehr mit und für die Geflüchteten arbeiten. Klassiches Abhängigkeitsverhältnis. Und so bleiben wir stumm. Im Magen nagt der Zorn, Ohnmachtsgefühle, wallende Wut. Sich die strahlenden Kinderaugen in Erinnerung rufen. Deshalb sind wir hier. Nur deshalb. Das Lächeln, der Funke ist es, was zählt. Wut ist Egoismus, die nicht-Akzeptanz der eigenen Machtlosigkeit. Kein Sprint. Ein Marathon. Luftholen. Tief. Ausatmen. Demut. Kinderhand in meiner Hand. Akzeptanz. Wir verlassen das Camp.
Morgen ist ein neuer Tag. Um an diesem Tag die emotionale Achterbahn noch ein bisschen mehr in Fahrt zu bringen, fahre ich mit Marko, einem der Clowns, ins alte, abgebrannte Moria-Camp, nur 5 Autominuten vom neuen entfernt. Wir beide waren schon hier, damals, als noch Zelte standen, Menschenrufe, über die Gegend hallten. Jetzt ist es still. Der Brandgeruch hängt überall, mehr als Ruinen sind da nicht mehr. 3 einsame Schafe grasen hinter dem, was einst der Checkpoint war. „Human rights graveyard“ steht auf der Außenmauer. Wie ein Friedhof wirkt es in der Tat. Zwischen ascheverkrusteten Mauern liegen noch vereinzelt Turnschuhe, leere Shampooflaschen, ein Kinderschnuller. Dieses Camp war nicht schön – nein. Aber es war lebendig, vibrierende Energie. Kriminelle teilweise, aber spürbar. Die Bewohner*innen haben geträumt, gehofft, sich dafür eingesetzt. Das Sinnbild ihres Ausgeliefertseins, das Lager hat gebrannt. Aufmerksamkeit, Erwachen, Zugzwang der Politik – endlich. Und dann die Antwort: ein neues Camp. Geschlossen, bewacht, sicher zwar, doch um den Preis jedweder Freiheit, dem Ende eines Traumes. Stacheldraht erteilt jeder Hoffnung eine Absage. Es reicht für heute.
Die Zusammenarbeit mit den Roten Nasen war wirklich gut! Vom Projekt selbst kann man nur sagen, dass es absolut wundervoll war ein Teil und Zeuge von etwas so Magischem gewesen sein zu dürfen. Dafür bin ich unendlich dankbar und auch stolz. Die Kinder konnten so viele von den und so sehr erhofften „glücklichen Momenten“ mitnehmen, es gab so viel Lächeln, Lachen und Freudestrahlen, tanzende Eltern und Großeltern, begeisterte Volunteers und dankbare Partner. Unser Partner R4R hat sich wahnsinnig ins Zeug gelegt und das ganze in der Form überhaupt ermöglicht. Es war in der Form und Kombination der Organisationen ein echter Traum. Für die Kinder im Camp ist es ein wahr gewordenes Wunder, ein Augenblick puren Glücks im Alltagsgrau und Hoffnungslosigkeit. Danke dass ich dabei sein durfte, danke dass ich WPA vertreten und repräsentieren darf!