Wir haben alle noch das SPIEGEL-Cover vom Oktober letzten Jahres im Gedächtnis, auf dem Bundeskanzler Olaf Scholz zu sehen war und die Worte: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“. Dieser politische Grundsatz hat sich seitdem weiter verfestigt. Mit der medialen Aufbereitung des Messerangriffes in Solingen wurde die Forderung nach einer Erhöhung der Abschiebezahlen immer lauter – und die Rhetorik gegenüber Menschen mit Fluchterfahrung, denen Kriminalität angedichtet wird, immer aggressiver.
Welche Konsequenz hat diese gefährliche politische Tendenz für Geflüchtete?
Die Auswirkungen deutscher beziehungsweise europäischer Abschiebepolitik sind besonders deutlich im Norden Frankreichs, nahe bei Calais und Dunkerque, zu spüren. Dort sammeln sich Menschen aus Ländern der EU und aktuell vermehrt aus Deutschland, deren Asylgesuch abgelehnt wurde. Sie hoffen durch die Flucht nach Großbritannien einer Abschiebung zu entkommen. Doch das Risiko hierbei ist hoch.
Erst kürzlich erreichte uns die Todesnachricht des gerade einmal zwei Jahre alten Manzur aus Reutlingen in Baden-Württemberg. Er wurde bei dem Versuch, mit seiner Mutter den Ärmelkanal zu überqueren, im vollbesetzten Boot erdrückt und verlor sein Leben. Sein Unglück ist kein Einzelschicksal. Das passiert, wenn die Flucht aus der EU die einzige Möglichkeit ist, um in Sicherheit leben zu können. Wenn in der EU die Anstrengungen, Menschen abzuschieben größer sind, als diejenigen, um ihnen Asyl zu gewähren. Wie groß muss die Angst vor einer Abschiebung sein, um die tödliche Fahrt über den Ärmelkanal anzutreten?
Direkte Unterstützung vor Ort
Tod auf dem Ärmelkanal ist die reale Konsequenz der deutschen Abschieberhetorik. Schon seit langem sind die Lebensbedingungen der Menschen bei Calais und Dunkerque jenseits aller Menschenwürde. Deshalb ging es für unsere Anpacker:innen Rita und Kai Ende Oktober in aller morgendlichen Frische auf in den Norden Frankreichs. Mit dabei hatten sie eine große Lieferung für unsere Partnerorganisationen in Calais und Dunkerque.
So gut wie möglich vom Gebüsch verborgen leben die Menschen in provisorischen Zeltburgen. Weil die französischen Polizist:innen bei regelmäßigen Räumungsaktionen alles vernichten, was ihnen in die Hände fällt, fehlt das Allernötigste. Rita begegnete jungen Männern, die in Badelatschen oder auch ganz ohne Schuhe durch die matschige Landschaft liefen. Besonders dringend wird neue Unterwäsche benötigt. Saubere Sachen sind gegen die schnelle Verbreitung von Krankheiten wie Krätze unerlässlich.
Rita und Kai kamen mit unserem voll beladenen Truck daher genau richtig. In Zusammenarbeit mit unseren Partner:innen von Mobile Refugee Support verteilten sie Schlafsäcke, Zelte und wetterfeste Kleidung genau dort, wo sie gebraucht werden. Für das Refugees Women’s Center steuerten wir außerdem Bekleidung speziell für Kinder und Frauen bei, die auf der Flucht besonders stark von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Es freut uns, dass wir diesen wichtigen Zufluchtsort mit wertvollen Sachspenden unterstützen konnten.
Am letzten Tag ihres Einsatzes besuchten Kai und Rita die Gräber, der auf dem Ärmelkanal Verunglückten in Grande Synthe. Wir gedenken all jenen, die ihr Leben auf der Flucht verloren haben.
Unsere Mission geht weiter
Trotz der erschütternden Situation für Geflüchtete in Calais und Dunkerque, die von der EU im Stich gelassen wurden, zieht Rita nach ihrem ersten Einsatz für Wir packen’s an ein positives Fazit: „Zusammenarbeit kann so schön sein,“ sagt sie und fügt hinzu, wie viel Hoffnung es ihr gebe, Teil eines großen Netzwerks zu sein und zu erleben, wie viele Menschen sich weiterhin engagieren. Durch gemeinsames Handeln und Anpacken könne man etwas bewirken – jede Unterstützung zählt!
Um die Geflüchteten bedarfsgerecht zu unterstützen, brauchen wir jetzt vor allem eines: Ihre Hilfe und Spenden. Spenden kannst du direkt über unser Spendenformular oder via PayPal an info@wir-packens-an.info.