Wir packen’s an in Bosnien – Tag 1
“Es erinnert viele Menschen an den Bosnien Krieg, was jetzt in Afghanistan passiert,“ sagt Alma von unserer bosnischen Partnerorganisation Rahma in Velika Kladuša. „Als die Serben in Srebrenica einmarschierten, sagten sie auch: Habt keine Angst ihr könnt jederzeit gehen, tun und machen, was ihr wollt. Wenig später waren alle tot.“
Ich bin also zurück im kleinen Land an der EU-Außengrenze. Es ist ein seltsames Gefühl, wieder da zu sein. Während ich mit dem Auto zur bosnisch-kroatischen Grenze düse, sehe ich wieder die Bilder von damals im Winter vor mir, viel Schnee und klirrende Kälte, Menschen mit Sandalen und dünnen T-Shirts nach dem Brand im Lager Lipa. Ich kann auch noch den unheimlichen Stress vom Januar spüren, des Bedürfnis schnell und effektiv zu helfen, etwas zu organisieren. Und noch etwas ist anders: Die ganze Welt schaute damals nach Bosnien, nur für einen ganz kurzen Moment, Journalist:innen waren allgegenwärtig. Als mich kurz nach meiner Ankunft ein deutscher Journalist anruft, erkundigt er sich nach einer Einschätzung des Vereins zur aktuellen Lage in Afghanistan, Bosnien ist ein absolutes Randthema. Demonstrationen, Nachrichten – ich verfolge ja auch die schrecklichen Ereignisse über Twitter – aber der ganze Trip fühlt sich an wie ein Reisen im Schatten. Alle sind mit Afghanistan beschäftigt. Ich bin aber in Bosnien, an einer der grausamsten Grenzen der Welt. Eine Nebensache.
Das Krätze-Projekt von Wir packen’s an
Alma nimmt mich mit zu einer Krätze Behandlung. Eine siebenköpfige Familie aus Kurdisch-Irak zeltet im Garten einer bosnischen Familie, einer hat die schlimme Hautkrankheit. Wir packen’s an finanziert das Anti Krätze Projekt, und es ist schön zu sehen, dass unsere Sachen zum Einsatz kommen. Die ganze Kleidung wird gewechselt und mit unseren Waschmaschinen heiß gewaschen. Der junge Mann muss sich am ganzen Körper mit einer Anti-Krätze-Creme einreiben, bekommt neue Kleidung und hat sein Zelt etwas isoliert von den anderen aufgebaut, um sie nicht anzustecken. Die Verständigung ist schwierig, aber eine junge Tochter der Familie spricht ganz gut Englisch und übersetzt. Sie erzählt mir, dass sie seit 3 Jahren unterwegs sind. Bulgarien, Serbien, Bosnien… Ländernamen, die für eine lange Leidensgeschichte stehen. Wo sie hinwollen? „Germany“ sagt die Kleine strahlend, dort wäre es gut! Niemand von den jungen Kids geht zur Schule. Was wird wohl aus dieser ganzen verlorenen Generation? Die Jüngste der Familie ist begeistert von einem kleinen Seifenblasen-Set und formt bunte Bubbles in der Luft. Seifenblasen der Hoffnung, alle lachen, als sie freudestrahlend Dutzende bunte Seifenblasen fabriziert. Alle reisenden Menschen, die ich heute treffe, sind extrem freundlich, manche laden mich zum Tee ein. Armut bedeutet nicht, dass die Menschen unfreundlich werden, eher im Gegenteil.
Wir helfen gegen den Hunger in Velika Kladuša
Später nehmen mich zwei Rahma-Voluntäre mit zur Essensverteilung. Weil die meisten Reisenden in verfallenen Häusern oder im Wald weit verstreut voneinander leben, fahren wir von Station zu Station. Ich treffe eine afghanische Familie. Überhaupt Familien… im Winter waren es vorwiegend Männer, die sich hier an der bosnisch-kroatischen Grenze aufgehalten haben. Jetzt sehe ich viele Familien mit vielen Kindern. Sie alle wollen auf das sogenannte „Game“, versuchen es in den Norden zur schaffen und werden aufgegriffen, misshandelt und zurückgebracht. Viele versuchen es wieder und wieder. Der afghanische Familienvater erzählt mir von 10 Versuchen, und das er nicht verstehen kann, wieso die Grenzpolizisten so herzlos wären, vor allem auch zu Kindern. Ich versuche das Thema auf die aktuelle Lage in Afghanistan zu bringen. Es fällt ihm nicht leicht, die gegenwärtige Situation der Familie ist schwer genug. Er sagt, unter den Taliban wäre kein gutes Leben möglich, „sie schneiden jungen Mädchen die Füße auf“, und dass er abgeschlossen habe mit dem Leben dort.
Zwangstrennung von Familien bei illegalen Push-Backs
Wie alles hier, so scheint sich auch die Art und Weise der Push-Backs geändert zu haben. Wurde uns im Winter noch von roher, körperlicher Gewalt erzählt, so scheint jetzt die kroatische Polizei nicht mehr ganz so körperlich zu misshandeln. Es wird ihnen nach wie vor alles weggenommen, das Handy kaputt gemacht, aber die rohe Gewalt scheint abzunehmen. Hat der internationale Druck gewirkt? Auch verschiedene NGO-Voluntäre bestätigen meinen Eindruck. Wer jetzt glaubt, das ist ein Schritt nach vorn, der irrt sich. Eine neue perverse Methode ist, Familien zu trennen. Vater und Tochter zurück, Mutter und Sohn dürfen bleiben, oder umgedreht. Was besonders bei afghanischen Familien desaströs ist, weil durch die patriarchal-religiöse Kultur/Tradition viele afghanische Frauen beispielsweise nicht schreiben und lesen können – die Familien nur im Verbund funktionieren. Was ist der Sinn dahinter, Familien zu trennen? Ich sehe ihn nicht, eine neue Form der Folter, dieses Mal auf der sozialen Ebene? Ebenso berichten viele, die es bis nach Slowenien, Italien und Österreich geschafft haben, von brutalen Rückführungen dort. Alles völkerrechtlich illegal, es interessiert nur niemand. Die Vergessenen eben…
Fluchtursachen werden von westlicher Politik geschaffen
Viele Menschen hier sind aus Afghanistan, aber auch einige aus dem Kongo, Maghreb oder Somalia. Wahrscheinlich werden sich mehr Menschen aus Afghanistan auf dem Weg machen. Die Türkei soll bereits an einer Mauer nach dem Iran bauen, um eventuelle afghanische Menschen, die kommen werden, abzuhalten. Sie werden sich aber nicht abhalten lassen, wie auch, was sind die Alternativen? Es wird nur dauern, 1-2 Jahre, dann sind sie in Bosnien. „Fluchtursachen beseitigen“ ist ein kaum zu ertragender Psalm deutscher Politiker:innen, eine große öffentliche Lüge. Alle können jetzt am Fernseher mitverfolgen, wie Fluchtursachen in Afghanistan geschaffen wurden, und dass es nie um Menschenrechte beim Krieg am Hindukusch ging. Nur das die verantwortlichen Politiker:innen, also aus deutscher Sicht die Schröders, Fischers, Merkels, Maas…und wie sie alle heißen, nicht bereitstehen werden, und wenigstens Nothilfe leisten. Nein, es werden kleine Organisationen wie unsere Partnerorganisation Rahma sein, und auch wir in der zweiten Reihe, die dann einen Umgang mit dem Leid suchen werden. Besonders auch, wenn Europas Herzversagen anhält, die Mauer hochgezogen sind und bleiben. Lange nachdem die Aufmerksamkeit nachgelassen hat, werden sich uns Fragen stellen: „Wo bekommen wir das Geld für Essen her für die vielen Menschen, was machen wir mit der ganzen unhaltbaren gesundheitlichen Situation, wie den Menschen etwas Würde zurückgeben?„