Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan retten


Drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban sind Menschen in Afghanistan, die sich für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, Ortskräfte und Minderheiten mehr denn je in Gefahr.

Deshalb braucht es jetzt sichere und legale Fluchtwege. Einer dieser sicheren Fluchtwege ist – trotz seiner Unzulänglichkeiten – das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan. Über das Bundesaufnahmeprogramm sind erst 581 Menschen eingereist, angekündigt waren 1.000 pro Monat. In Pakistan warten über 3.000 Menschen, die eine Aufnahmezusage von Deutschland bekommen haben, unter prekären Bedingungen und in steter Gefahr einer Abschiebung nach Afghanistan. Viele weitere, die bereits von Deutschland im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms als schutzbedürftig anerkannt und kontaktiert wurden, harren noch in Afghanistan aus. Aber die bedrohten afghanischen Menschenrechtler:innen dürfen nicht allein gelassen werden.

Deutschland hat eine, auch im Koalitionsvertrag festgehaltene, Verantwortung für sie.

Anstatt endlich Deutschlands Verantwortung gerecht zu werden, will Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Finanzierung für Aufnahme- und Resettlement-Programme wie das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan im kommenden Jahr um fast 90 % kürzen. Noch vor drei Jahren nach dem Fall Kabuls waren sich Politik und Zivilgesellschaft einig, dass Deutschland Afghan*innen im Stich gelassen hatte – mit verspäteten Evakuierungen und tödlichen Folgen. Seither hat sich die Regierung geändert und doch sehen wir wieder eine Politik der Abschottung statt Aufnahme. Diese Politik steht für uns im direkten Widerspruch zum „Kampf gegen irreguläre Migration“ der Regierung. Denn ohne sichere und legale Fluchtwege gibt es keine reguläre Migration für Schutzsuchende.

Zum heutigen Jahrestag der Machtübernahme der Taliban fordern wir deshalb zusammen mit vielen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, das sichere Fluchtwege für gefährdete Afghan:innen weiterhin ermöglicht und ausgebaut werden.

#Don’tForgetAfghanistan #SafeandLegalPathwaysNow #AfghanistanNotSafe #WirhabenPlatz #SolidaritätstattHetze


15.08.2024 – Gemeinsames Statement:

Bedrohte afghanische Menschenrechtler*innen dürfen nicht ihrem Schicksal überlassen werden. Das Bundesaufnahmeprogramm und weitere Aufnahmemöglichkeiten müssen fortgesetzt, beschleunigt und ausgeweitet werden. Kapazitäten für zivilgesellschaftliche Unterstützung müssen ausgebaut werden.

Drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban sind Menschen in Afghanistan, die sich dort für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, stärker denn je gefährdet. Menschen, die in allen gesellschaftlichen Bereichen demokratische Werte verbreiteten – etwa als Lehrer:innen, Journalist:innen, Ärzt:innen, Richter:innen, Anwält:innen, Politiker:innen, Menschenrechtsaktivist:innen und Kulturschaffende – sowie Ortskräfte werden immer stärker verfolgt, willkürlich inhaftiert, gefoltert und hingerichtet. Sie müssen sich unter prekären Bedingungen versteckt halten, um zu überleben.

Für manche Personengruppen ist die Bedrohung besonders akut. Frauen wurden seit der Machtübernahme systematisch aus allen Teilen der Gesellschaft ausgeschlossen. Mädchen ist der Schulbesuch ab der siebten Klasse verboten, Frauen dürfen weder arbeiten noch studieren oder allein das Haus verlassen. Viele sind von Zwangsehen und brutalen Strafen wie sexuellen Misshandlungen in Haft, Auspeitschungen und Steinigungen bedroht. Die „schwerwiegende, systematische und institutionalisierte Diskriminierung gegen Frauen“ durch die Taliban ist eine Art „Gender-Apartheid“. Queere Personen sind sogar als gesamte Gruppe direkt in ihrer Existenz bedroht, weil die Taliban angekündigt haben, diese Menschen durch Folter, Steinigung oder lebendiges Begraben zu vernichten.

Demokratie muss durch Zivilgesellschaft geschützt werden

Wir möchten unsere Solidarität mit den Menschen in Afghanistan, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um demokratische Werte zu verteidigen, ausdrücken. Als zivilgesellschaftliche Organisationen sehen wir es als unsere Pflicht, nicht nur Menschenrechte in Deutschland zu verteidigen, sondern uns auch für diejenigen einzusetzen, die dies in ihrem Land tun. So unterschiedlich die Umstände sind, unter denen wir arbeiten – uns verbindet die gemeinsame Überzeugung, dass ein Leben in Würde für alle erreichbar sein soll. Viele der aktuellen Krisen und Konflikte haben grenzübergreifende Ursachen und müssen deswegen auch grenzübergreifend bearbeitet werden.

Gerade am Beispiel Afghanistan lässt sich gut beobachten, welche Folgen drohen, wenn zivilgesellschaftliche Interessen bei der internationalen Zusammenarbeit nicht hinreichend berücksichtigt werden. Es ist fatal, dass das Doha-Abkommen beschlossen wurde, ohne die bereits etablierten Rechte und Freiheiten der afghanischen Bevölkerung zu sichern, obwohl es ein wichtiges Ziel der internationalen Zusammenarbeit war, die Demokratisierung in Afghanistan zu stärken und die Verteidigung der Menschenrechte zu unterstützen. Und obwohl es klar war, dass es dafür unter den Taliban keinen Platz geben würde.

Deutschland hat eine humanitäre Verantwortung

Wenn – wie in Afghanistan – die Lebensbedingungen im eigenen Land zu gefährlich werden, sind Menschen gezwungen, ihr Land zu verlassen. Sie verlassen ihre Heimat und damit die Menschen und Orte, mit und an denen sie ihr Leben bisher aufgebaut hatten. Die Entscheidung, aus dem eigenen Land zu flüchten, wird nie leichtfertig getroffen. Diese Menschen zu schützen, ist eine humanitäre Pflicht Deutschlands. Aufgrund seiner Beteiligung am zwei Jahrzehnte dauernden internationalen Militäreinsatz in Afghanistan hat Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber gefährdeten Afghan:innen, zu der die Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag bekannt hat. Die zu späten und chaotischen Evakuierungen aus Afghanistan nach dem August 2021 zerstörten zu viele Menschenleben. Weil politische Entscheidungsträgerinnen die Einschätzungen von Expert:innen vor Ort nicht ernst genug nahmen. Weil die Länder, die am internationalen Einsatz beteiligt waren – auch Deutschland – ihr Versprechen, ihre Verbündeten nicht im Stich zu lassen, nicht ausreichend einhielten.

Es braucht sichere Fluchtwege für gefährdete Afghan:innen.

Wir fordern, dass sichere Fluchtwege für gefährdete Afghan:innen weiterhin ermöglicht und ausgebaut werden, unter anderem über das Bundesaufnahmeprogramm und über Landesaufnahmeprogramme:

  • Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan muss in vollem Umfang fortgesetzt und finanziert werden.
  • Ausreisen müssen beschleunigt werden. Neben der Möglichkeit, einen Asylantrag in Deutschland zu stellen, sind solche Programme notwendig, damit besonders vulnerable und gefährdete Menschen auch tatsächlich Schutz suchen können: Personen, die unter anderem aufgrund ihres Alters, ihres Gesundheitszustands, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität besonderen Risiken ausgesetzt sind, neben den ohnehin großen Gefahren auf den Fluchtwegen nach Europa.
  • Das Ortskräfteverfahren muss so reformiert werden, dass alle gefährdeten Personen, die für Deutschland gearbeitet haben, Schutz erhalten.
  • Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte muss erleichtert und beschleunigt werden. Aktuell bleiben Familien oft aufgrund bürokratischer Hürden und Personalmangel in den zuständigen Behörden über Jahre getrennt. Diese Barrieren müssen abgebaut werden.
  • Abschiebungen nach Afghanistan dürfen nicht stattfinden.
  • Damit Schutzsuchende nach Ankunft in Deutschland die notwendige Unterstützung bekommen, um ein neues Leben hier aufzubauen, fordern wir zudem einen Ausbau der Kapazitäten für Unterbringung, Beratung und gesundheitliche Versorgung.

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Unterzeichnende Organisationen (alphabetisch):

Afghan Women Activist’s Coordinating Body (AWACB)
Afghanischer Aufschrei Düsseldorf
AfghanistanNotSafe KölnBonn
Afghanistan-Schulen, Verein zur Unterstützung von Schulen in Afghanistan e.V.
Amnesty International, Bezirk Düsseldorf
Amnesty International, Gruppe 1004
Artistic Freedom Initiative
AWO Bundesverband e.V.
Behandlungszentrum für Folteropfer Ulm
Beratung + Leben gemeinnützige GmbH, Migrationsberatung für Erwachsene in Berlin
Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS)
Brücke Schleswig-Holstein gGmbH
Bundesarbeitsgemeinschaft PRO ASYL e.V.
Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) e.V.
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer
(BAfF e.V.)
Caritasverband für die Stadt Köln e.V.
Der Paritätische Gesamtverband
Deutscher Anwaltverein
Diakonie Deutschland
DSPZ (DeutschSchweizer PEN Zentrum)
European Organisation for Integration e.V.
FAM – Frauenakademie München e.V.
Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
HÁWAR.help e. V.
IPPNW – Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e.V.
Kabul Luftbrücke
KommMit e.V. / PSZ Brandenburg
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland e.V. (LSVD)
Lichtpunkt | Traumatherapie- und Psychosoziales Zentrum e.V.
Louise-Aston-Gesellschaft e.V.
medico international
Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V.
MISSION LIFELINE International e.V.
Mosaik Leipzig – Kompetenzzentrum für transkulturelle Dialoge e.V.
move on – menschen.rechte Tübingen e.V.
Nadia Murad Zentrum
Niederdeutsch-Friesisches PEN-Zentrum e.V {aspiring}
Psychosoziales Zentrum Dresden
Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge Nürnberg
Psychosoziales Zentrum Pfalz
PSZ Bielefeld
PSZ des Ev. Regionalverband Frankfurt und Offenbach
Refugio Bremen
Refugio München
Refugio Stuttgart e.V.
refugio thüringen e.V.
Refugio Villingen-Schwenningen, Psychosoziales Zentrum für traumatisierte Flüchtlinge
Schwulenberatung Berlin
Stitching for School and Life e.V. – SSL e.V.
TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V.
Traumanetzwerk Lörrach
VAF Bonn e.V. (Verein für Afghanistanförderung)
Wir packen’s an e.V. – Nothilfe für Geflüchtete
Zentrum ÜBERLEBEN