THEMENWOCHE BOSNIEN: Die sogenannte Balkanroute – Flucht zu Fuß in die Festung Europas

14.07.2022: Im serbischen Grenzgebiet zu Ungarn kommt es zu einer Machtdemonstration:
Hunderte Flüchtende knien mit den Armen über dem Kopf vor serbischen Polizist:innen mit erhobenen Waffen – begleitet und befohlen vom serbischen Innenminister und Ultranationalisten Aleksandar Vulin. Populistische Medien aus EU-Ländern dichten eine Bewaffnung durch die Flüchtenden hinzu, andere berichten gar nicht. Diese Geschehnisse sind bezeichnend für das gezielte Wegsehen der europäischen Öffentlichkeit, den strukturellen Rassismus der Festung Europa, die Gewalt von und durch Grenzen und das strategische Vorgehen gegen Flüchtende – ausgeführt von der EU und europäischen Staaten.

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Über die sogenannte Balkanroute flüchten primär Menschen aus Afghanistan und Syrien, mittlerweile aber vermehrt auch aus Pakistan, Bangladesh, Irak, Marokko, Südsudan und anderen Ländern. Fluchtursachen sind politische Verfolgung, Krieg, Folgen der Klimakrise, ökonomische Perspektivlosigkeit sowie die Hoffnung auf ein besseres Leben. Die Zahl der über Südosteuropa Flüchtenden steigt wie an allen EU-Außengrenzen an.
Sie versuchen über die Staaten Nordmazedonien, Serbien und Bosnien und Herzegowina in die EU zu gelangen.

In dieser sog. „Pufferzone“ (Grenzgebiete vor den EU-Außengrenzen) sind Schutzsuchende massiv von gewaltvollen Übergriffen durch Polizist:innen und Inhaftierungen bedroht. In Serbien und Bosnien und Herzegowina gibt es keinerlei staatliche Unterstützung von Menschen in Bewegung. NGOs, welche Flüchtende unterstützen, sind rar. Ihnen wird die ehrenamtliche und humanitäre Nothilfe von staatlicher Seite erschwert, Importe von Hilfsmitteln sind kompliziert. Menschen in Bewegung haben innerhalb der Pufferzone keinen legalen Zugang zu existenziellen Infrastrukturen wie Betten, Sanitäranlagen und öffentlichen Transporten.

Sie leben zumeist mit mehreren in sogenannten „Squats“ – Zelte und verlassene Häuser auf Bergen oder in Wäldern, wo sie sich vor Polizist:innen und zivilen, rechten Patrouillen verstecken – ohne einen angemessenen Zugang zu Trinkwasser, Nahrungsmitteln und Kleidung. Im Norden Bosniens bei Velika Kladuša, wo unsere Kooperationspartnerin „Rahma“ Schutzsuchende supportet, wurden selbstverwaltete Wohnungen von Flüchtenden gewaltvoll geräumt und diese in das Internierungslager in Lipa gebracht. Dieses liegt ganz bewusst ca. 25 km entfernt von der nächsten Stadt (Bihać). Es gibt keinen konstanten Zugang zu Trinkwasser.

Wir sehen eine Verwehrung von jeglicher gesellschaftlicher Teilhabe, massive Trinkwasserrationierungen, kein Zugang zu juristischem Beistand sowie Misshandlung von Schutzsuchenden ohne jegliche Öffentlichkeit.

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Der Grenzübertritt nach Kroatien, Ungarn und Rumänien ist kompliziert. Alle Grenzen sind geprägt von hohen Zäunen. Polizist:innen der jeweiligen EU-Länder patroullieren, um Menschen im Falle eines Grenzübertritts zurückdeportieren. Die kroatische Grenzpolizei ist bekannt für ein gewaltvolles Vorgehen gegen Schutzsuchende. Menschen werden teils willkürlich verhaftet und angeklagt. Die europäische „Grenzschutz“-Agentur Frontex, finanziert und ausgerüstet von der EU, unterstützt die kroatische Grenzpolizei mithilfe von Überwachungstechnologien. Auch aus Deutschland.
Ungarn hat Pushbacks gar seit 2016 „legalisiert“. Es gibt keine konkreten Konsequenzen durch andere EU-Staaten. Die Regierung führt eine eigene Statistik über durchgeführte Pushbacks nach Serbien: 19.283 in den Monaten Januar bis März 2022. Rassifizierte Schutzsuchende können in Ungarn keine Asylanträge stellen.
An der serbisch-rumänischen Grenze werden Flüchtende ebenso gewaltvoll misshandelt – unterstützt durch die Einsatzkräfte von Frontex.

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Die humanitäre und rechtliche Situation ist für Schutzsuchende auf der Balkanroute unvorstellbar. Normalität sind mehrfache gewaltvolle Pushback-Erfahrungen, ein Leben im Schatten der Öffentlichkeit in Wäldern ohne ausreichende Versorgung und die Ungewissheit, ob sie jemals einen Asylantrag in der EU stellen werden. Die EU finanziert und toleriert dieses gewaltvolle Unrecht. Frontex wird aufgerüstet, Bundespolizist:innen verschiedener EU-Staaten führen im Namen von Frontex Pushbacks durch. Die EU errichtet Pufferzonen in Südosteuropa, genauso wie in der Türkei und Nordafrika, um Menschen in Bewegung zurückzudrängen und sich einer direkten Verantwortung für die Aushebung von Aslyrecht und Bewegungsfreiheit zu entziehen.

Schluss mit der rassistischen Abschottung durch die EU. Menschen, Staaten und Institutionen müssen für die Verletzung von Menschenrechten zur Rechenschaft gezogen werden. Für Gerechtigkeit, gegen die Festung Europa.


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